Innovation: Vom Egosystem zum Ecosystem

Die 95-jährige alte Lady Wüstenrot ist super fit und innovativ. Warum das so ist, erklärt Nina Tamerl, Marketingleiterin und Innovatorin bei Wüstenrot. Jedenfalls kommen im Unternehmen emotionale Intelligenz und die Menschlichkeit gerade wegen der Digitalisierung nicht zu kurz.

22.03.2021, 9:28

Foto von Nina Tamerl
© WKS/VOGLNina Tamerl, Wüstenrot Gruppe.

Die Wüstenrot Gruppe zählt zu den führenden Finanzdienstleistern in Österreich. An die 2.400 Mitarbeiter betreuen in Österreich, Kroatien und in der Slowakei sehr erfolgreich mehr als 2,1 Millionen Kunden mit Gesamtlösungen aus einer Hand für die Bereiche Ansparen, Finanzieren, Vorsorgen und Versichern. Seit 2007 ist die geborene Salzburgerin und studierte Wirtschaftswissenschaftlerin Nina Tamerl als Head of Innovation und Marketing an Board. Sie treibt im Unternehmen auch die Themen „digital“ und „Data science“ voran. Welche Mechanismen beflügeln ein Unternehmen mit fast 100 Jahren Tradition zu hoher Innovationskraft? Wie erreicht man viele Mitarbeiter, überzeugt im Sinne des Unternehmens nach vorne zu denken? Chris Holzer hat Nina Tamerl zum Interview gebeten.

Was bewegt eine Bausparkasse und Versicherung zur treibenden Kraft für Cross Innovation zu werden?

Cross Innovation ist eine Bündelung von Kompetenzen, Know-how und Inspirationsquellen, die aus verschiedenen Unternehmen und aus verschiedenen Geschäftsbereichen kommen. Auch wissenschaftliche Institutionen sind eingebunden. Es geht weg von einem „EGO-System“ hin zu einem „Eco-System“ (Business Ecosystem: die Leistung des gesamten Ecosystems übersteigt die Summe der Einzelbeiträge aller Beteiligten). Nicht mehr nur wirtschaftlicher Erfolg ist im Fokus, es geht auch um die Erfüllung eines gesellschaftlichen Zwecks. Das funktioniert am besten in Kooperation und die Wege dafür sind in Salzburg aufgegleist. Die besten Innovationen entstehen über Offenheit und das Teilen von Problem- und Lösungsansätzen. Ein wenig geht es da zu wie in einem Bienenschwarm.

Ihr seid besonders aktiv im Innovationsthema?

Die neuen Technologien ermöglichen es uns, schneller neue Lösungen zu entwickeln. Heute sind wir alle mit der Welt stark vernetzt. Der Antrieb erfolgt aber aus dem Unternehmen selbst heraus und von gesellschaftlichen Veränderungen. Wenn sich das Unternehmen selbst hinterfragt, die Produkte und Prozesse ständig auf den Prüfstand hebt, entsteht Innovation automatisch. Die gesamte Organisation ist gefragt, mit all ihren Prozessen, aber auch mit all ihren Menschen, die Verbesserungswillen in sich tragen. Die Zeit des Verwaltens und Bewahrens ist vorbei.

Wie unterscheidet sich der Berufsalltag 2007 zu heute?

Wir sind digital mit der ganzen Welt vernetzt und haben so viel schneller Trends, gesellschaftliche Veränderungen und technologische Entwicklungen am Radar. Wesentlich dabei ist, die gesamte Mannschaft auf der Innovationsreise mitzunehmen. Es geht in erster Linie darum, die Marke – die alte Lady Wüstenrot ist 95 Jahre alt – fit zu halten. Wenn in unserem Business eine Innovation auf den Markt geht, hat heute die User-Experience Priorität. Marketingseitig ist der Alltag dabei heute geprägt vom Storytelling. Geschichten bewegen Menschen mehr denn je. Wir wollen die Marke „enkelfähig“ machen. Thematisch geht es dabei vorrangig um Kundenbeziehung: Wie schaffen wir es, dass die Marke Relevanz hat? Marketing und Innovation sind heute schon vermehrt datengetriebene Themen, das umfasst den kreativen Prozess bis hin zum wissenschaftlichen Diskurs. Auch Employer Branding ist ein wesentlicher Eckpfeiler heute. Der Arbeitsmarkt ist geprägt vom Kampf um die besten Leute, gerade in den Bereichen Technologie und Data, aber auch in unserem Kerngeschäft, der Finanzberatung. Auch hier punkten Innovationsreputation und Marke enorm. Diese Abwechslung macht schon Spaß.

Foto von Nina Tamerl und Chris Holzer
© WKS/VOGLNina Tamerl im WorkVision Interview mit Chris Holzer (v.l.).

Werden Planungen schwieriger in sich ständig schneller erneuernden Welten?

Schnelllebigkeit prägt das Geschehen. Wir haben dabei immer die Marke im Herzen und den Kunden im Fokus. Gleichzeitig haben Werte wie Nähe und Miteinander heute wieder Konjunktur. Das angesprochene Ecosystem hilft, Spezialisten und Talente in die Region zu holen und langfristig zu binden. Beispiele für übergreifende Innovationsprojekte – auf „neutralem“ Boden – sind das IDA Lab, der EdTech Hub oder das große Innovationsevent im Juni salz21.

Welche Themen sind aktuell im Bereich digitaler Transformation an erster Stelle?

Unsere Mission ist, dass Wüstenrot Österreichs digitalster und zugleich persönlichster Finanzdienstleister sein soll. Innovationen werden entlang der Menschen entwickelt. Früher haben nur Verkaufszahlen die Richtung vorgegeben, heute dominieren Kundenorientierung und langfristiges Bestehen. Digitalisierung und die Corona-Pandemie funktionieren im Innovationsumfeld als positive Treiber. Der Kunde ist digital und erwartet einfache, bequeme Wege und Services als digitaler Alltagsbegleiter. Wenn es beispielweise um eine Wohnrauminvestition von 400.000 Euro geht, möchten sich Kunden bei Wertberechnung und ihrer Kreditwürdigkeit digital vorinformieren. In der Durchführung wollen sie eine reale Person vor Ort an ihrer Seite haben. Ein großes Thema ist für uns aktuell der Aufbau einer digitalen Wüstenrot-Bank einhergehend mit der Digitalisierung der Organisation. Wenn etwa ein Blitzschlag passiert, will der Kunde eine unmittelbarere Rückmeldung: Ist der Schaden gedeckt und in welchem Ausmaß? Wir arbeiten in der Technologieentwicklung aktuell mit bis zu 40 Start-ups intensiv zusammen.

Welche Mechanismen der guten Inspiration für Innovation im Unternehmen sehen Sie?

Innovation entsteht aus Intuition. Man kann Veränderungen nicht auf Angst und Druck aufbauen, sondern auf Neugierde und Offenheit. Wir ermutigen unsere Mitarbeiter, involvieren sie und geben ihnen Raum für neue Ideen. Dabei spielt im Unternehmen auch der Know-How Transfer der Generationen eine große Rolle. Unsere besten Finanzberater sind beispielsweise frühzeitig und intensiv an der Nachwuchsförderung beteiligt. Auch bei der Innovationsentwicklung binden wir gleichermaßen Kollegen von der Basis aus allen Unternehmensbereichen wie auch Kunden ein, denn sie sind Garant dafür, um nicht am Kunden vorbei zu entwickeln. 

Der Artikel ist am 26.3.21 in der Zeitschrift Salzburger Wirtschaft erschienen. Chris Holzer gestaltet seit 2014 die Serie WorkVision für die WKS. Zum Interview gibt es auch die Radiofabrik-Sendung Fair-Play: https://radiofabrik.at/programm/sendungen/sendungen-von-a-z/fair-play/